750 Jahre Reussbrücke Mellingen, Rainer Stöckli

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Mellinger Städtlichronik 2003 - 750 Jahre Reussbrücke Mellingen

Am 31. Mai dieses Jahres sind genau 750 Jahre verflossen, seit die Reussbrücke in Mellingen das erste Mal urkundlich erwähnt wurde. Damals stiftete der Graf von Kyburg, Hartmann der Jüngere, der damalige Stadtherr von Mellingen, für seine verstorbene Gattin Anna eine Jahrzeit und bestimmte dafür einen Zehnten in Hitzkirch und die bei der Reussbrücke in Mellingen gelegene Bruggmühle samt dem dazu gehörenden Zehnten. Jahrzeiten sind in der katholischen Kirche noch heute gebräuchliche Stiftungen, aus deren Ertrag zum Angedenken an Verstorbene jährlich ein Gottesdienst gehalten wird.

Am 31. Mai 1253 wurde also die Reussbrücke das erste Mal urkundlich erwähnt. Es ist allerdings anzunehmen, dass der Bau dieser Brücke gleichzeitig mit der Stadtgründung zwischen 1230 und 1240 erfolgte. Bekanntlich hatten die Kyburger schon vor der Gründung der Stadt Mellingen die Orte Baden und Lenzburg inne. Im Eigenamt und in Brugg sowie in Bremgarten sassen
hingegen die Grafen von Habsburg, die Widersacher der Kyburger. Um nun einen sicheren Übergang über die Reuss auf direktem Weg zwischen Lenzburg und Baden zu besitzen, errichteten die Kyburger die Stadt Mellingen samt Brücke. Mellingen war also eindeutig eine strategische Siedlung und blieb dies bis Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Franzosen häufig die Brücke von Mellingen passierten. Aber auch für den Personen- und Warenverkehr auf der
Strasse war die Brücke in Mellingen bis Mitte des letzten Jahrhunderts der wichtigste Flussübergang zwischen Zürich und Bern, wurde dann durch die Brücke in Bremgarten und schliesslich durch den Reusstalviadukt der A1 bei Birmenstorf abgelöst.

Es besteht kein Zweifel, dass die Anlage der Stadt Mellingen dem Brückenbau angepasst wurde. Denn die planmässige Errichtung der Stadt wurde genau an jener Stelle positioniert, wo die Reuss besonders schmal und ein Brückenbau leicht zu realisieren war.



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Brücke und Stadt bildeten früher eine untrennbare Symbiose. Der bedeutende Aargauer Kulturgeograph Charles Tschopp hat dies in folgendem Bild eingefangen: «Der Grundriss
der Stadt nähert sich einem gleichschenkligen, stumpfwinkligen Dreieck, dessen lange Grundlinie sich der Reuss entlang zieht. Mellingen ist gewissermassen die Schraubenmutter, welche die Schraube (nämlich die Brücke) unverrückbar festhält.»

Da an der Brücke immer wieder Unterhaltsarbeiten vorgenommen werden mussten, erhielt Mellingen das Privileg, den reichlich fliessenden Brückenzoll für dieses Bauwerk zu verwenden. 1408 wurde die Brücke durch einen schweren Eisgang zerstört und musste neu errichtet werden. Nach einer teilweisen Erneuerung nach dem grossen Stadtbrand von 1505 erforderte 1550 ein verheerender Orkan den Neubau der Brücke. Nach zeitgenössischen Ansichten ruhte die Brücke bis ins 16. Jahrhundert bloss auf hölzernen Pfeilern. 1564 scheint dann erstmals ein Steinpfeiler errichtet worden zu sein, den man 1646/47 erneuerte. Um in der bei Mellingen schnellfliessenden Reuss einen solchen Steinpfeiler errichten zu können, erforderte dies bei den damals
beschränkten technischen Möglichkeiten ein sehr aufwändiges Verfahren. 1794 errichtete schliesslich der Luzerner Werkmeister Joseph Ritter eine pfeilerlose Holzbrücke. Diese Brücke galt damals konstruktionsmässig neben den Flussübergängen von Schaffhausen und Wettingen als eine der technisch bemerkenswertesten Brücken der Schweiz. Ein Werk von Joseph Ritter
ist übrigens auch die heute noch bestehende Holzbrücke bei Sins.
Da in den Napoleonischen Kriegen die Brücke in Mellingen übermässig beansprucht wurde, sah man sich 1816 gezwungen, einen Mittelpfeiler einzubauen. 1927/28 wurde dieses Meisterwerk der Brückenbaukunst durch einen kunstlosen eisernen Überbau ersetzt. Die beiden Stirnseiten der Ritterschen Brücke mit geschnitzten Stadtwappen und klassizistischem Zweig-
und Girlandendekor sind noch heute erhalten: die eine im Ortsmuseum, die andere im Zeitturm.

Heute leidet Mellingen mit dem nie abbrechenden Verkehrsstrom, der die Brücke überquert, enorm. Doch bis die schon seit langem geplante Umfahrung realisiert werden kann, fliesst wohl noch viel Wasser die Reuss hinunter.

Nachtrag: Die Umfahrung konnte Ende August 2022 in Betrieb genommen werden.


Bild-Nr.: 03019.60
Bild: Mellinger Städtlichronik 2003
Text: Rainer Stöckli / Mellinger Städtlichronik 2003
Copyright: Mellinger Städtlichronik 2003

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