Texte zur Geschichte Mellingens

Geschichte > Geschichte

Mellingen-Geschichte einer Kleinstadt

Als Beilage Stadt und Land in der "Neuen Aargauer Zeitung" Aarau erschienen.
Geschrieben von Otto Hunziker.


Bild-Nr.: 39800
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Otto Hunziker
Copyright: Fotoarchiv Mellingen

ca. 1951

Mellingen - Geschichte einer Kleinstadt 2

Als Beilage Stadt und Land in der "Neuen Aargauer Zeitung" Aarau erschienen.
Geschrieben von Otto Hunziker.


Bild-Nr.: 39801
Bild: Fotoarchiv Mellingen
Text: Otto Hunziker
Copyright: Fotoarchiv Mellingen

ca. 1951

1965 - Rundgang durch das Städtchen Mellingen

Die Mühlen
Bis zurück ins 13. Jahrhundert kann die Existenz von Mühlen in Mellingen verfolgt werden. So befand sich bei der Brücke die Bruggmühle, die in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in eine Stickereifabrik umgewandelt wurde; seit 1894 wird darin die Kartonagenfabrikation betrieben. Eine zweite Mühle, die Widenmühle «liegt am Weg der in den Grummet führt», wie ihre Ortgbezeichnung in alten Urkunden lautet; sie dient heute als Werkgebäude dem Gemüsebau Gebr. Haller. Die äußerst gelegene war die Buggenmühle, eine Doppelmühle, in deren unterem Teil vor bald 100 Jahren eine Seidenwinderei eingerichtet wurde, die später in eine Seidenstoffweberei geändert, kürzlich ebenfalls eingegangen ist; die Obermühle hat bis um die Jahrhundertwende ausgehalten, zuletzt allerdings nur noch mit Fruchtbrechen, und ist heute "Büro- und Wohnhaus der Obstverwertung E. Bußlinger. Jede der erwähnten Mühlen ist mehrmals verbrannt, früher zumeist bei Kriegshandlungen, später mehr durch Fahrlässigkeit. Am linken Reußufer wurde bis vor einem Jahrhundert auch eine Gipsmühle betrieben; seither befindet sich an
jener Stelle die Sägerei.


Schloß Hünegg
Gegenüber der Abzweigung der Trottenstraße, auf der rechten Seite der Landstraße, steht der alte Herrensitz derer von Hünegg. Darin befand Sich ursprünglich der Verwalter des Trostburger Twings, der den ganzen Rohrdorferberg bis herunter an die Reuß, das rechtsufrige Mellingen eingeschlossen, umfaßte. Das «große Haus», wie es in alter Zeit genannt wurde, ist infolge mehrerer Umbauten in seiner ursprünglichen Form (auf einem 250 Jahre alten Gemälde im Zeitturm sichtbar) kaum mehr zu erkennen. Heute enthält es das
Wirtshaus «Zum Rosengarten». Bis 1863 war darin die Post eingerichtet, woran noch eine hübsche Postvignette an der Decke der Gaststube erinnert.


Das alte Schützenhaus
Etwa 50 Meter oberhalb der Brücke steht am rechten Reußufer das ehemalige Schützenhaus. Im Gegensatz zu den heutigen barackenähnlichen Schützenhäusern ist dieses Gebäude aus festem Mauerwerk erstellt,
mit imponierendem Walmdach versehen. Erbaut wurde es 1662, und 1774 einer gründlichen Renovation unterzogen. An beiden Eingängen befindet sich am Türsturz neben Waſfenemblem das Stadtwappen. Dieses Wappen, eine weiße Kugel im roten Schild, ist vermutlich bei der Stadtwerdung im 13. Jahrhundert angenommen worden, wohl in Anlehnung an ihre einstigen Herren die Grafen von Lenzburg. Im Gegengatz zu diesen, welche eine blaue Kugel im weißen Schild führten, zeigte das Mellinger Stadtwappen eine rote Kugel im weißen Schild. Nach 1415 eidgenössisch geworden, mögen dann die Farben in Anpassung an das weiße Kreuz im roten Feld der Eidgenossen gewechselt worden sein. Schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts
wurde das Schützenhaus, weil der Schießplatz auf der Suche nach einer längern Flugbahn verlegt werden mußte, an die Wohler Firma Jakob Isler & Cie. vermietet, welche darin einen Filialbetrieb der Strohgeflecht- industrie unterhielt. Später gelangte es in Privatbesitz und ging als solcher einer bedenklichen Verlotterung entgegen, sodaß seine Tage nun gezählt sein dürften.

Die Brücke
Die heute bestehende Brücke ist 1928 erstellt woriden, und zwar an Stelle der im Jahre 1794 gebauten gedeckten Holzbrücke, seinerzeit eine der schönsten der Schweiz. Auch die vorherigen Brücken waren aus-
nahmslos Holzkonstruktionen, nämlich diejenigen von 1661, 1550, 1408. Die vor 1408 bestandene Brücke wurde durch die hochgehende Reuß fortgerissen. Eine Brücke hat laut Ueberlieferung schon 1253 bestanden.
Anfänglich wurde hier, wie dies ja zumeist an solchen Brückenstellen der Fall war, der Uebergangsverkehr vermutlich durch eine Schiffsfähre bewerkstelligt.


Das alte Rathaus

Das mächtige Gebäude über und neben dem Brückentor mit dem steilen Treppengiebel ist eines der ältesten der Stadt. Es wurde offenbar von den Grafen von Kiburg um die Mitte des 13. Jahrhunderts erbaut,
diente zur Beherrschung der Stadt, der Sicherung der Brücke und kiburgischen Vasallen als Amts- und Wohnbhaus. Selbst Gräfin Elisabeth von Kiburg und ihre Tochter Anna hatten darin einige Zeit ihr Domizil eingerichtet, weshalb es in der Folgezeit Gräffenmur (Gräfinnenmauer) genannt wurde. Später erwarb dieses Gebäude die Stadt und richtete darin ihr Amtshaus ein, das im Jahre 1536 einer durchgreifenden
Renovation unterzogen wurde, nachdem der große Stadtbrand von 1505 daran nicht ganz spurlos vorüber-gegangen war. 1856 erfolgte die Verlegung des Rathauses. Die «Gräffenmur» wurde verkauft und hat seither ein hialbes dutzendmal den Besgitzer gewechselt.

Die Gasthäuser
Die Warnung «heb Sorg bim ränke» soll einstmals unter der heute noch dort befindlichen Maria als Beschützerin des «Scharfen Eck» gestanden haben. An gefährlichen Stellen wurden früher mit Vorliebe Wirtshäuser betrieben, die mit ihrem Namen auf die bestehende Gefahr hinwiesen und an denen zum Schutze von Fuhrleuten und Hausbewohnern das Attribut eines Heiligen angebracht wurde. Die Wirts-hausnamen wurden früher nicht willkürlich gewählt, sondern standen in gewisser Beziehung zum Ort. So war der «Hirschen» das ursprüngliche Zunfthaus, der «Löwen» jene Taverne, der ihr Wirtsrecht durch die Kiburger oder Habsburger verliehen wurde, während die «Krone», die sich bis 1856 bei der Kirche befand, entweder als Sinnbild der Heiligen Drei Könige oder der auf dem Wappenschild als Privileg der Stadt befind-lichen Krone - gedeutet werden kam.

Die Zehntenscheune
In der Unterstadt, vom Johannisbrunnen etwa 20 Schritte abwärts, steht die frühere Zehntenscheune des Klosters Gnadenthal. Schon 1297 bewilligte Gnadenthal dem Abt Albrecht von Muri für verliehene Gütererb- lehen, daß das Kloster Muri seine Zehnten aus Sulz, Künten, Rohrdorf und Remetschwil während der Lebenszeit des Abtes im Hause des Klosters Gmadenthal in Mellingen» aufbewahre. Später erwarb die Stadt dieses geräumige Haus und richtete darin ihre «Schütte» ein, d.h. sie lagerte dort die dem Kirchen-, Spital- und Rentamt in Form von Bodenerzeugnissen zukommenden Grundzinsabgaben ein.

Die Herberge
Gegenüber der Zehntenscheune sehen wir am Hause Nr. 80 das Stadtwappen und einen Drudenstern daneben, darunter die Jahreszahl 1541, die älteste an einem Gebäude noch erhaltene. Hier befand sich die
Städtische Herberge. Der Drudenstern oder -fuß bedeutete den Handwerksburschen und Wandergesellen, daß es da umsonst eine Unterkunft und Verpflegung gab. Auch die Stube der ansässgigen Gesellen wie auch der Meister dürfte sich in diesem Hause befunden haben, worauf das noch guterhaltene spätgotische Fenster im zweiten Stockwerk schließen läßt.





Die Sust

Diese dem Schiffsverkehr dienende Güterhalle findet man etwas unterhalb der Herberge. Ehemals führte von der Reuß zur Bruggerstraße ein Durchgang, ähnlich wie heute noch beim Rathaus, der den Transport der Güter von der Schifflände ins Magazin verkürzte. Ob dem Eingang reußseits orientierte das in Stein gehauene
große Stadtwappen mit dem Jahr 1600, das im Zeitturm aufbewahrt wird, die wappen kundigen Schiffer, daß sie die für Mellingen bestimmiten Güter hier auszuladen hatten. Straßenseits hängt heute noch das Stadt-wappen mit 1763 als jene Jahreszahl, da die Sust durch einen Neubau den erhöhten Anforderungen der Zeit angepaßt wurde. 1910 hat die Stadt disges Haus, das infolge des Niedergangs der Flußschiffahrt, bedingt
durch das Aufkommen der Eisenbiahn, überflüssig geworden war, einem ansässigen Bauuntermehmer verkauft, der darin ein halbes Dutzend geräumige Wohnungen erstellen konnte.


Der Hexenturm

Dieser Rundturm war ursprünglich Bestandteil der Stadtbefestigung. Von diesem führte über das 1835 niedergelegte Bruggertor ein Wehrgang. Ein Stück Stadtmauer ist noch neben dem Turm sichtbar. Später
baute man in den Turm eine Folterkammer für Untersuchungsgefangene, und setzte auf die Plattform ein Dach in Spitzkegelform. Seinen Namen bekam der Turm zur Zeit des Hexenwahns; 1677 z. B. wurde in
Mellingen eine Frau auf öffentlichem Platze als Hexe verbrannt. 1902 ist er anläßlich einer Feuersbrunst, der sechs benachbarte Häuser zum Opfer fielen, vollständig ausgebrannt. 1952 erfolgte dann seine äußerliche
Instandstellung.

Mehr

Der Zeitturm
Als nach der Erfindung des Schießpulvers die Stadtmauern der sich entwickelnden Angriffstechnik nicht mehr standzubalten vermochten, ging man vielerorts daran, die Ringmauern und Türme niederzulegen.
Andere Orte aber machten sich eine Ehre daraus, besonders die Türme zur Verschönerung des Stadtbildes auszuschmücken. Mellingen gehörte zu den letzteren. 1544 wurde der Turm über dem Obertor mit einem
kunstvollen Aufbau versehen, sowie mit einer Uhr, welche nicht nur die Stunden und Minuten, Sondern auch die Wochentage und Monate, sowie den astronomischen Tierkreis des Siderischen Monats und den Mond-
wechsel anzgeigte. Seither hat laut den im Turmhelm befindlichen Urkunden mehrmals der Blitz in den Zeitturm, wie er ab 1544 genannt wird, eingeschlagen, ohne jedoch größeren Schaden anzurichten. Das im ersten Stockwerk befindliche Gefängnis war bis in die jüngste Zeit in Gebrauch gewesen, zuletzt allerdings nur noch für Militärarrestanten. 1953, als neben dem Lenzburgertor ein zweiter Durchgang geschaffen
wurde, ist der Turm renoviert und mit einer neuen, der alten gleichgestalteten Uhr, einem Geschenk der Ortsbürger, versehen worden. In der Folge wurde im Turm eine bescheidene Sammlung «Alt Mellingen»
entwickelt.


Die Kapelle

Außerhalb der Altstadit, an der Straße gegen Wohlenschwil steht die Kapelle St. Antoni. Diese bestand schon 1555, wurde aber 1736 neu gebaut. Von ihr wurde am Bazar im Dörfli der Schweiz. Landesaus-
stellung 1914 in Bern ein Bild mit folgendem Text verkauft: «Die elegante Vorhalle mit den auf schlanken Säulen ruhenden Rundbogen mutet ganz italienisch an. Ein äußerst reizvolles Gebäude, ein Kind des
Südens gleichsam, von dem man das Gefühl hat, daß es sich bis heute noch nicht an den nordischen Himmed gewöhnt hat. Von ferne glänzen die weißen Firnen, ihm den Gruß aus seiner schönen Heimat
winkend.» Bei der Renovation von 1944 wurde das Innere der Kapelle von Payer und Wipplinger in Einsiedeln mit künstlerisch beachtlichen Reliefs geschmückt, einen Zyklus aus dem Leben des hl. Antonius dar-
stellend.



Die reformierte Kirche

Auf der andern Straßenseite, unmittelbar gegenüber der Antoniuskapelle befindet sich die im Jahre 1910 gebaute reformierte Kirche, daneben das 1929 erstellte Pfarrhaus. Bereits 1949 wurde eine Außenreno-
vation der Kirche durchgeführt, 1950 das Chor erneuert. Die beiden gut gelungenen Chorfenster stellen jetzt das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen dar.


Das Rathaus

Als im Jahre 1855 das Gasthaus zur Krone in den Geldstag (Konkurs) geriet, glaubte die Stadt, daß es sich hier für sie eine güngstige Gelegenheit biete. Das neben der Kaplanei befindliche Schulhaus war nämlich zu klein geworden und das Rathaus äußerst baufällig, vor dessen Instandstellungskosten man sich scheute. So wurde die «Krone» anläßlich der Steigerung erworben und als Rathaus eingerichtet. Im zweiten
Stockwerk befanden sich noch genügend Räume für die Schule, die dort verblieb bis zum Jahre 1897, als das neue Schulhaus in der Breiti bezogen werden konnte. Dieses Rathaus ist vor drei Jahren einem durch-
greifenden Umbau unterzogen worden.


Die Stadtkirche

1045 beschenkte Graf Ulrich von Lenzburg das Kloster Schännis mit dem Patronatsrecht der Kirche Mellingen. Es wird jedoch oft die Vermutung geäußert, eine solche wäre schon 100 Jahre früher bestanden.
indem die Bauzeit des Glockenturms seiner Form nach in die Karolingerzeit zu datieren sei. Die heutige Kirche wurde 1675 in neuer Richtung gebaut, nachdem die vorherige, deren Chor sich im Turm befand, vollständig abgetragen worden war. Die Chorfresken der niedergelegten Kirche sind heute
noch im Turm sichtbar. Bemerkenswert sind besonders die 14 gemalten Glasscheiben in der Kirche, von denen 12 aus dem Jahre 1629, also noch aus der abgebrochenen Kirche stammend, und zwei aus 1675, dem Baujahr der neuen Kirche, datiert sind. Von dem alten Geläute, das 1959 durch ein neues ersetzt wurde, ist die kleinste, die sog. Pestglocke aus dem Jahre 1641, erhalten geblieben und im Pfarrhof ausgestellt ;
von der größten Glocke ist vor dem Einschmelzen das Mellinger Reichsstadtwappen ausgesägt und eingefaßt der Sammlung im Zeitturm beigefügt worden. 1912 wurde eine Restaurierung der Kirche durchgeführt. 1960/61 erfolgte eine Außenrenovation von Glockenturm und Kirche, nebst Neugestaltung des Umgeländes, wobei die bisher als Abschlußsockel verwendeten, mit Wappen und Inschriften ornamentierten steinernen Grabplatten gereinigt und vorläufig bei der Stadtmauer an der Ostseite der Kirche deponiert worden sind.


Der Iberg

Am Südende der Altstadt, hinter der Kirche verborgen, stoßen wir zum ehemaligen Freihof Iberg. So genannnt nach den uns bekannten frühbesten Bewohnern, den Herren von Iberg. Dieser feste Sitz hat mög-
licherweise schon vor der Stadtgründung, die dem Kloster Schännis gehörenden Schiffländen sichern müssen. Vom Geschlecht der Iberg, dessen Mellinger Zweig ausstarb, gelangte dieser Herrschafftssitz in
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, nach der Ueberlieferung durch Heirat, an die Familie von Segesser und blieb in deren Eigentum bis in den Anfang des 17. Jahrhunderts, als sich die Nachkommen in Luzern
niedergelassen hatten und ihr Besitztum in Mellingen, das beim großen Stadtbrand anno 1505 verschont geblieben war, an einen Flach von Schwarzenburg, ebenfalls in Luzern ansässig, veräußerten. Dieser ver-
kaufte nach einiger Zeit den Iberg an den Deutschritterorden, der daran größere Umbauten vornahm und hier eine Filialkomturei des Ordenshauses Beuggen bei Badisch-Rheinfelden begründete. Durch Kauf von Chorherr Jost Ranutius in Beromünster im Jahre 1731 wurden die Segesser neuerdings Besitzer. 1738 machte Jogef Segesser von Brunegg daraus einen Fideikommiß (unveräußerliches Stammgut). Aber schon1779 trat die Stadt als Käufer auf und richtete darin das Pfarrhaus ein. 1856 wurde die Iberg Spital und Armenhaus, und heute dient er als Altersasyl.
Am Türsturz des ins Erdgeschoß führenden Eingangs sieht man das Kreuz des Deutschritterordens und
das Wappen des Heinrich Schenk von Castell, Landkomtur (Verwalter) von Beuggen; die Jahrzahl 1633 bezieht sich auf die Zeit der baulichen Neugestaltung des Gebäudes, das sich seither nicht mehr wesent-lich verändert hat. Ob dem Eingang in den Schneggen (Treppenturm) hängt das Wappen der Segesser mit der Jahresbezeichnung 1578 und einem Steinmetzzeichen. Beim Eingang vom Schneggen ins zweite Stockwerk sieht man über sich an der Unterseite eines der steinernen Treppentritte drei Wappen, nämlich dasjenige des Hans Rudolf Segesser und links und rechts daneben diejenigen seiner beiden Ehefrauen Margaretha von Erlach und Johanna von Ringoltingen.

Albert Nüssli
Beilage im Reussbote vom 18. Juni 1965


Bild-Nr.: 39915
Bild: Albert Nüssli
Text: Albert Nüssli, im Reussbote vom 18.6.1965 erschienen
Copyright: Albert Nüssli/Fotoarchiv-Mellingen

18.06.1965

Die Gemeindewappen unserer Region, Rainer Stöckli

Hoch interessant ist die Wappengeschichte von Mellingen, welche seinerzeit sozusagen in einen Wappenkrieg auszuarten drohte. Bis 1935 führte Mellingen in seinem Wappen in Rot eine weisse Kugel, vor 1512 in Weiss eine rote Kugel. An allen historischen Gebäuden und auf alIen alten Fahnen prangt die weisse Kugel in rotem Schild. Als dann 1935 die Feldschützen von Mellingen Bezirkslehrer Otto Hunziker (1900-1976) den Auftrag erteilten, ein neue Vereinsfahne zu entwerfen, empfand man das Kugelwappen als wenig aussagekräftig und Hunziker schlug vor, als Grundlage für ein neues Wappen das zweite Mellinger Stadtsiegel von 1296 (Wappenbeschreibung: «Unter rot-weiss-rotem Schildhaupt in gelb steigender roter Löwe») zu wählen.
Dieses Siegelbild war ein Novum: die Kombination des Österreicherwappens (weisse Binde in rot) mit dem Habsburgerwappen (roter Habsburgerlöwe in gelb). Noch 1935 erklärte der Gemeinderat das Löwenwappen als offizielle Version. Doch der Mellinger Vizeammann, Lokalhistoriker und Redaktor des «Reussbote», Albert Nüssli (1891-1984, Grossvater des heutigen Reussbote-Redaktors Benedikt Nüssli), konnte diese Kehrtwende nicht gutheissen und setzte über die offiziellen Mitteilungen der Gemeinde Mellingen im «Reussbote» weiterhin stets das Kugelwappen. Diese beiden Hauptkontrahenten im «Mellinger Wappenkrieg» konnten sich bis zu ihrem Lebensende nie einigen, welches nun das richtige Mellinger Wappen sei. Noch 1971 verteidigte Otto Hunziker in einer 9-seitigen Dokumentation zuhanden des Gemeinderats «sein» Löwenwappen. Dieses blieb denn auch bis heute das offizielle Wappen unserer Gemeinde. Irgendwie tut es mir Leid, dass ich meinem hochverehrten, ehemaligen Geschichtslehrer nicht Recht geben kann. Schon vor Jahrzehnten erklärte aber der Staatsarchivar und oberste Kantonsheraldiker Georg Boner die Kugel zum historisch einzig richtigen Wappenzeichen Mellingens.
Und im neuen Aargauer Wappenbuch (s. Reussbote 22. Oktober 2004) steht: «Es darf zudem nicht übersehen werden, dass das Siegel einer Stadt zur Bekräftigung von Urkunden nur einem kleinen Personenkreis bekannt war, nicht aber der breiten Bevölkerung. Dieser dürften die Fahnen, z. B. jene der ins Feld ziehenden Truppen, viel besser bekannt gewesen sein. Es gibt somit keinen Grund, Fahnen und Wappen nachträglich an alte Siegelbilder anzupassen, wie es z. B. 1935 in Mellingen geschah».
Zudem gelten möglichst einfache Wappenbilder als besonders bemerkenswert, denken wir nur an die Kantonswappen von Zürich, Luzern, Zug, Solothurn und Freiburg. Auch beim Mellinger Kugelwappen, das die gleiche Form wie Lenzburg – allerdings in anderer Farbgebung - hat, ist dieser Wunsch in hervorragender Art verwirklicht. Diese gleichen Wappenformen sind übrigens historisch leicht erklärbar: Mellingen war im Hochmittelalter im Besitz der Grafen von Lenzburg. Immer wieder wird auch die Frage aufgeworfen, was denn die Kugel im Mellinger Wappen bedeute. Eine schlüssige Antwort kann darauf nicht
gegeben werden.
Schliesslich ist noch anzufügen, dass im heutigen Mellinger Wappen zwei Wappenzeichen - jenes von Habsburg und jenes von Österreich - vereinigt sind. Nach heraldischen Grundsätzen müsste eigentlich die obere Hälfte die Österreicher Binde und die untere Hälfte der Habsburger Löwe einnehmen. Doch die Österreicher Binde ist im heutigen Wappen zu einem schmalen Streifen verkümmert.
Liebe Mellinger, glaubt nun aber ja nicht, ich möchte einen neuen «Wappenkrieg» entfachen. Ich sage jedem, der mich auf die Wappenfrage anspricht: «Ihr habt zwar historisch und heraldisch gesehen ein falsches, aber ein sehr schönes Wappen, auf
das ihr stolz sein dürft!»

Rainer Stöckli


Bild-Nr.: 39910
Bild: Reussbote
Text: Rainer Stöckli
Copyright: Rainer Stöckli, Reussbote

14.12.2004